Tantra: philosophische Lehre mit hinduistischen Wurzeln
Das Tantra ist ein Teil der indischen Philosophie. Im Vordergrund der tantrischen Lehren steht die Beziehung eines jeden zum obersten Gott, die zur Befreiung verhelfen soll. Tantra basiert auf der Erkenntnis, dass die absolute und die phänomenale Welt eins sind. (1)
Sexualpraktiken bilden nur einen sehr geringen Teil im Tantra. Sie werden nur in bestimmten Sekten von wenigen Übenden im Zusammenhang mit besonderen Ritualen ausgeführt. Die in der westlichen Kultur vorherrschende Vorstellung über Tantra ist demnach sehr einseitig. (1) Die Tantramassage ist eine westliche Interpretation des Tantra und heute eine sehr bekannte Form der Erotikmassage.
Die Ursprünge des Tantra reichen bis ins 2. Jahrhundert zurück. Dort entstand es als esoterische Form des Hinduismus und später des Buddhismus (siehe Vajrayana) innerhalb der Mahayana-Tradition. Allerdings hat die Lehre erst im 7. / 8. Jahrhundert ihren vollen Umfang erreicht. (1)
Im Sanskrit bedeutet Tantra so viel wie Gewebe, Kontinuum und Zusammenhang. Tan kann mit ausdehnen übersetzt werden – es geht im Kontext einer Philosophie damit um umfangreiches und weiter anwachsendes Wissen. (1)
Ursprünge und Geschichte des Tantra
Das hinduistische Tantra wurde durch die Einflüsse im frühen Mittelalter Indiens geprägt. Dazu gehören die dämonologische Tradition, lokale und volkstümliche Einflüsse sowie die Einflüsse religiöser Sekten. (1)
Das mittelalterliche Tantra diente unter anderem dazu, einen aus den niederen Kasten oder dem Ausland stammenden König zu ligitimieren. Der Herrscher vollzog Rituale, die ihn in einen Gottkönig transformieren sollten. Somit flossen Praktiken in den Hindu-Tantra ein. (1)
In ländlich geprägten Regionen diente das Tantra dazu, schädliche Dämonen zu kontrollieren. Dazu wurde spirituelle Sitzungen abgehalten, in denen Beschwörungsformeln gesprochen wurden. Diese Formen des Tantra ähneln dem Schamanismus, sind aber regional begrenzt und besitzen daher weniger Bedeutung. (1)
Die Lehren des Tantrismus waren ausschließlich der Elite vorbehalten, so z. B. Könige, Aristrokraten und einige Brahmanengruppen. Sie spiegelten auch ihre Belange wieder: Macht, Machterwerb und übernatürliche Kräfte. Die tantrischen Lehren gehen zum Beispiel auf die Machtverhältnisse zwischen Menschen und übernatürlichen Wesen ein. (1)
Die Lehren wurden ab dem 8. Jahrhundert durch diese Eliten in Sanskrit geschrieben und so in gewissem Maße vereinheitlicht (siehe unten: Tantra als Literaturgattung). Die Schriften können dem Sekten-Hinduismus zugeordnet werden – sie gehören z. B. dem Vishnuismus, dem Shivaismus oder dem Shaktismus an, in denen es immer eine höchste Gottheit gibt, die einer göttlichen Hierarchie übergeordnet ist. Diese Gottheiten sind entweder Vishnu, Shiva oder Shakti (Devi). Die verschiedenen Sekten haben häufig gemeinsame Götter, die verehrt werden. (1)
Im Laufe der Entwicklung haben sich im Tantrismus eine Reihe von Mythologien, Pantheone und Metaphysiken gesammelt. Sie werden häufig in Skulpturen und in der Malerei dargestellt. Häufige Motive sind Gottheiten, übernatürliche Wesen, Dämonen und Tantriker. Oft wird der Geschlechtsakt abgebildet. (1)
Das heute bekannte Tantra stammt mehr oder weniger aus dem 17. Jahrhundert. Es stellt sich als Sammlung ritueller Techniken dar, die sich auf Götter beziehen. Dadurch sollten verschiedene Kräfte erreicht werden:
- Bhukti, Macht über das Diesseits;
- Siddhi, übernatürliche Kräfte und
- Jivanmukti, die Befreiung durch Vergöttlichung. (1)
Tantra als Literaturgattung im Hinduismus
Als Tantra wird ursprünglich eine Literaturgattung im Hinduismus verstanden. Die Texte wurden im Wesentlichen zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert geschrieben und als Tantra-Shastra bezeichnet. (1) Dabei sind im Allgemeinen zwei Formen zu unterscheiden:
- Offenbarungstexte anonymer Autoren, die zumeist einen Dialog zwischen Gottheiten darlegen, z. B. zwischen Shiva und Kali.
- Kommentare, Kompendien und Leitfäden zu Offenbarungstexten der Tantra-Literatur. Sie behandeln die Praktiken und Prinzipien des Tantrismus. (1)
Tantra als Lehre
Das Tantra basiert auf der Erkenntnis, dass das Absolute und das Relative untrennbar sind – absolute und phänomenale Welt sind identisch. Ziel des Tantra ist es, mit dem Absoluten eins zu werden und die höchste Wirklichkeit zu erkennen. Da diese Wirklichkeit energetischer Natur ist, werden im Tantra äußere Handlungen als Spiegel innerpsychischer Zustände ausgeführt. (1)
Tantra ist von okkulten und magischen Vorstellungen durchzogen. Besonders ausgeprägt sind Ritual und Kult, sehr bedeutsam sind die Einweihung und die Unterstellung des Schülers (cela) unter einen kundigen Lehrer oder Meister (Guru). Dieser Lehrer soll auf dem spirituellen weg der Lehre behilflich sein. (1)
Die Hauptelemente des Tantra:
- Mittels sexueller Symbolik werden die geistigen Prinzipien dagestellt und vergegenwärtigt. Dies beruht auf der Annahme, dass das Universum durch die Wechselwirkung zwischen aktiven und passiven Polaritäten entstanden ist. Das männliche Prinzip, Shiva, gilt als passiv. Das weibliche Prinzip, Shakti, gilt als aktiv.
- Das System der Energiezentren (Chakras), auf den Yoga und meditative Übungen basieren.
- Das Arbeiten mit geometrischen Symbolen wie Mandala und Yantra als Sinnbild für Makro- und Mikrokosmos.
- Die Arbeit mit Mantras und Mudras.
- Der Einfluss von magischen Vorstellungen. (1)
Sexualpraktiken im Tantra
Im Vamacara, einer besonderen Form des Tantra, werden fünf Reinigungsmittel verwendet:
- Matsya (Fisch)
- Māmsa (Fleisch)
- Madya (Wein)
- Mudrā (getrocknete Körner)
- Maithuna (ritualisierter Geschlechtsakt)
Vor allem wegen des Maithuna wird Tantra in der westlichen Kultur fast ausschließlich mit Sexualpraktiken identifiziert. Diese Praktiken werden allerdings nur in bestimmten Sekten (den Vamacharas) von wenigen Übenden in einem besonderen rituellen Zusammenhang ausgeübt. (1)
Quellenverzeichnis
- Wikipedia.org: Tantra, abgerufen am 06.06.2012.